„Bitte bleiben wir klar in der Unterscheidung zwischen rechts, auch sehr rechts, und dem verbrecherischen Nationalsozialismus. Sonst geht es uns wie dem Bauern, der ständig vor dem Wolf warnt, und als der dann wirklich kommt, glaubt ihm keiner mehr“, appellierte Altbundespräsident Heinz Fischer am Montagabend bei der Diskussionsveranstaltung „80 Jahre nach der nationalsozialistischen Machtergreifung – 100 Jahre Republik Österreich“ an einen wachen, sachlichen und besonnenen Umgang mit den Gefahren des Rechtsextremismus. Er sei vom Funktionieren des Rechtsstaats Österreich überzeugt: „Wer sich nationalsozialistischer Wiederbetätigung schuldig macht, wird verurteilt und bestraft.“ Der Kulturverein Hietzing und LAbg. Prof Gerhard Schmid hatten anlässlich des Gedenkjahres 2018 Altbundespräsident Heinz Fischer und Nobelpreisträger Eric Kandel zum Gespräch ins Kardinal König Haus in Hietzing geladen. Moderiert wurde der kurzweilige Abend, zu dem etwa 300 Gäste gekommen waren, von der Journalistin Conny Bischofberger. Eric Kandel bekam 2000 den Nobelpreis für Medizin verliehen. Als Kind floh er mit seinen Eltern vor den Nationalsozialisten aus Österreich in die USA. *
Er sei oft verprügelt worden, seine Familie musste beim Novemberprogrom die Wohnung verlassen, die dann geplündert wurde, berichtete Eric Kandel seine Erfahrungen im nationalsozialistischen Wien. „Ich habe Angst gehabt, in Wien auf die Straße zu gehen, aber ich hatte keine Angst über den Atlantik zu reisen“, brachte er seine Erlebnisse auf den Punkt. Die Propaganda Hitlers sei in Österreich sehr erfolgreich gewesen, die Österreicher hätten sich erhofft, dass es ihnen dann besser gehe. Und nach der Niederlage habe sich Österreich als Opfer des Nationalsozialismus bezeichnet, aber, so Kandel: „Das stimmte nicht“. Die Vergangenheitsbewältigung habe in Deutschland besser funktioniert als in Österreich. Es habe lange gedauert, bis Österreich die Opferrolle abgelegt und sich offiziell zur Mitschuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus bekannt habe. Auch habe Deutschland nach dem 2. Weltkrieg ausgewanderte Juden wieder zurückgeholt, in Österreich sei dies nicht geschehen. Auf die Frage von Conny Bischofberger, ob er heute mit Österreich versöhnt sei, antwortete Kandel: „Ja, wegen Heinz Fischer“. Ihm attestierte er, sich als Bundespräsident sehr um eine Wiedergutmachung und um eine Aufarbeitung der schrecklichen Vergangenheit bemüht zu haben.
Heinz Fischer verwies auf die Situation Österreichs nach dem Esten Weltkrieg: Aus dem Riesenreich sei ein Kleinstaat geworden, die Menschen fühlten sich durch das Friedensdiktat gedemüdigt, es herrschte Hungersnot, eine Grippeepidemie zog über ganz Europa, die Arbeitslosigkeit war hoch. Die Propaganda des Nationalsozialismus sei hier auf fruchtbaren Boden gestoßen. Es habe aber nicht nur die Jubelnden gegeben, viele gingen in die Emigration, auch in die innere Emigration. Auf die Frage von Conny Bischofberger, was man jungen Menschen sagen könne, die meinen, sie könnten ja nichts dafür, dass all das geschehen ist, betonte Fischer: „ Das Wichtigste ist Information. Durch Zeitzeugen, durch Literatur, durch Veranstaltungen. Man kann sehr wohl aus Geschichte lernen. Und das heurige Gedenkjahr ist eine gute Gelegenheit, zu informieren und auf die Gefahren aufmerksam zu machen.“ Auch Fischer verwies auf das lange Festhalten an der Opferrolle Österreichs: „Es hat lange gedauert bis man bereit war, sich von diesem Verdrängungsphänomen zu verabschieden.“ Auch heute gelte es wachsam zu sein, so der Altbundespräsident: „Auch ich sehe einen Rechtstrend, aber das kann man nicht mit dem verbrecherischen Nationalsozialismus vergleichen. Das wäre eine unzulässige Verharmlosung des Nationalsozialismus.“ Er vertraue aber auf den Rechtsstaat und darauf, dass alles, was nach dem Verbotsgesetz geahndet werden müsse, auch einer Strafe zugeführt werde.