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Schmid: „Das Ziffernnotensystem ist völlig antiquiert“

Gerhard Schmid ist Bundesbildungsvorsitzender der SPÖ und vertritt Hietzing im Wiener Landtag. Im Interview mit der „Hietzinger Zeitung“ spricht der Vollblutpolitiker und Pädagoge über brisante Themen wie das „türkis-grüne Bildungsprogramm“, den Neuaufguss des „antiquierten Ziffernnotensystems“ und die Gefahren von Social Media.

Das Bildungssystem in Österreich ist immer wieder ein heiß diskutiertes Thema. Vor allem Debatten rund um die Sinnhaftigkeit des guten alten Notensystems flammen immer wieder auf. Die Hietzinger Zeitung hat das Thema aufgegriffen und einen Bildungsprofi zum Gespräch gebeten.

Sie sind und waren – verknüpft mit Ihrer politischen Laufbahn – immer auch Pädagoge. Macht es Ihnen Spaß, zu lernen und zu lehren?

Gerhard Schmid: Ich war schon in sehr jungen Jahren Lehrer (lacht). Als ich das erste Mal in der Klasse gestanden bin, war ich jünger als manche meiner Schüler.

André Heller sagte unlängst – in Anlehnung an Hugo von Hofmannsthal –, es sei so wichtig, viel zu wissen.

Schmid: Wissen ist ein bissl eine Sucht. Aber ich sehe das natürlich auch so. Mein Credo war aber immer, dass Wissen sehr breit aufgestellt sein muss. Ich gehe mit Begeisterung in Wagners „Götterdämmerung“. Aber man wird mich genauso in einem großen Fußballstadion im Westen Wiens antreffen. „Breit“ bedeutet aber wohl auch, dass Wissen nicht elitär sein sollte. Schmid: Wissen breit zu vermitteln, ist wichtig. Ich habe auch immer versucht, mit Berufsschülern Projekte durchzusetzen, von denen man mir im Vorfeld abgeraten hatte. Das waren Projekte über den Spanischen Bürgerkrieg, über die historischen Zusammenhänge der Zwischenkriegszeit, über die Zweite Republik – es hat immer funktioniert.

Haben Sie den Eindruck, dass die Menschen im digitalen Zeitalter mehr wissen?

Schmid: Nein, den habe ich nicht. Sie können zwar schneller zu einer spezifischen Information gelangen, die Frage ist nur: Was fangen sie damit an? Ich bin ja ein großer Anhänger der klassischen humanistischen Bildung und weiß, dass man das Wissen, das man erwirbt, in einen intellektuellen Raster einhängen können muss. Wenn ich im Internet nachschaue, wer 1964 in einer bestimmten Mozart-Oper eine bestimmte Rolle gesungen hat, helfen mir diese Suchhilfen zwar sehr schnell. Aber wenn ich über Mozart nichts weiß, nutzt mir das auch nichts.

Umberto Eco warnte in seinen glühenden Essays vor der Verblödung durch die neuen Medien. Eine ernstzunehmende Gefahr?

Schmid: Auch viele Neurologen warnen davor: Wenn man sich mit diesen Medien permanent beschäftigt und sozusagen „drinnen bleibt“, könnte einem die soziale Dimension des Lebens leicht abhanden kommen.

Sie wurden letztes Jahr SPÖ-Bundesbildungsvorsitzender. Was sind Ihre Aufgaben?

Schmid: Die Bundesbildungsorganisation hat eine große Tradition und reicht weit in die Gründungszeit der Sozialdemokratie, die ja aus Bildungsvereinen entstanden ist, zurück. Denn man wusste, dass die Emanzipation der Arbeiterschaft nur über Bildungsprozesse funktionieren kann. Deshalb gibt es bis zum heutigen Tag eine ganze Reihe von Bildungs- und Ausbildungsangeboten und Seminaren.

In dieser Funktion haben Sie sich sicher auch mit dem Bildungsprogramm der türkis-grünen Regierung auseinandergesetzt. Ihre Analyse?

Schmid: Es ist schwierig, dazu etwas in die Tiefe Gehendes zu sagen – weil das Programm nicht in die Tiefe geht. Es ist ein sehr dünnes Kapitel, das keinerlei Antworten gibt auf die entscheidende Frage: Wie kann man das österreichische Bildungssystem an die Spitze bringen? Da bleibt man an der Oberfläche, begnügt sich mit Gemeinplätzen, zeigt keine konkreten Wege auf.

Was halten Sie vom Revival des Ziffernnotensystems?

Schmid: Das Ziffernnotensystem ist besonders antiquiert. Und vor allem in der Elementarpädagogik sollte man differenziertere Formen der Beurteilung finden, die eine Gesamtbeurteilung der Schülerinnen und Schüler ermöglichen. Keinesfalls entspricht das Ziffernnotensystem dem heutigen Stand der pädagogischen Wissenschaft.

Besteht die Gefahr, dass dieses konservative Bildungssystem die soziale Schere in der Gesellschaft noch vergrößert?

Schmid: Das ist zu befürchten. Und dass die Grünen diese Konzeption in der Regierung mittragen, wird man einer kritischen Überprüfung unterziehen müssen. Der Bestsellerautor Yuval Harari warnt vor einer Gesellschaft, die sich in wenige Privilegierte und viele andere Menschen spaltet, die sich sinnlos und „überflüssig“ vorkommen.

Ihre Meinung?

Schmid: Bildung ist auch der Weg, die Sinnfragen des Lebens zu lösen. Aber das kann ich nur, wenn ich in Bildungsprozessen eine entsprechende Begeisterung vermittle: Wenn ich mit Schülern Theater oder sportliche Ereignisse besuche; wenn ich mit ihnen auf Reisen gehe. Das heißt, Bildungsprozesse müssen lebendig sein, und Schüler müssen lernen, ihre Rolle in der Gesellschaft zu finden. Das ist mindestens so wichtig wie die Kenntnis der Jahreszahl der Punischen Kriege.

Bürgermeister Michael Ludwig versprach jüngst Gratis-Ganztagsschulen. Eine gute Idee?

Schmid: Ein absolut wichtiges Projekt! Gratis-Ganztagsschulen sind vor allem in jenen Bereichen, wo die Eltern schauen müssen, dass sie finanziell über die Runden kommen, ein wichtiger Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit.

Sie sind SPÖ-Vorsitzender in Hietzing – Ihr Lieblingsbezirk?

Schmid: Wir haben großartige Schulen im Bezirk, auch großartige berufsbildende Schulen und eine großartige Volkshochschule, deren Schwerpunkt die Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte ist. Ich bin glücklich und stolz, dass ich für diesen Bezirk im Wiener Gemeinderat politische Verantwortung tragen darf.