Grundlagenpapier zur Diskussion für ein neues Parteiprogramm

Grundprinzipien:

Das Bekenntnis zur klassenlosen Gesellschaft als asymptotisches Ziel und grundsätzliches Prinzip ist unerlässlich. Dieses Prinzip ist das historische Fundament der Sozialdemokratie und unterscheidet uns von allen anderen politischen Bewegungen im aktuellen parlamentarischen Diskurs. Bruno Kreisky weist in seinem Testament ausdrücklich darauf hin, dass die Sozialdemokratie nur eine Chance haben wird, wenn es ihr Ziel ist, die Klassen, wie immer sie definiert und in welchem modernen Gewande sie verpackt sind, zu beseitigen. Die Sozialdemokratie hat dies immer als Zielvorstellung gesehen.

Der gesellschaftliche Ertrag ist gerecht zu verteilen. Das heißt, eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung ist ebenfalls auch in historischer Hinsicht ein zentrales Forderungselement der Sozialdemokratie.

Soziale Gerechtigkeit muss vor allem beim Zugang zu den Bildungswegen und zur Arbeitswelt gegeben sein. Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit sind daher ebenfalls zentrale Elemente sozialdemokratischer Grundsätze und in sozialer Weise zu akzentuieren, d.h. wir sprechen von einer sozialen Chancengerechtigkeit und von einer sozialen Chancengleichheit.

Fünf Bereiche sollten in einem künftigen Parteiprogramm besonders intensiv herausgearbeitet werden:

  1. Demokratie
  2. Wohnen
  3. Gesundheit
  4. Bildung und Wissenschaft
  5. Kunst und Kultur

Sozialdemokratie muss sich zunehmend mit Fragen der Ethik beschäftigen und klare Position zu gesellschaftlichen Fragen beziehen. Es muss aber auch eine Diskussion über eine nach innen gerichtete Ethik begonnen werden. Das schließt die Diskussion um sozialdemokratische Tugenden mit ein. SozialdemokratInnen müssen ein von Humanismus, Toleranz und Demokratie geprägtes Menschenbild haben, und es geht hier nicht nur um das kollektive Auftreten als Partei, sondern auch um individuelle Fähigkeiten jedes einzelnen Mitgliedes und vor allem jedes einzelnen Funktionärs, jeder einzelnen Funktionärin. Man muss SozialdemokratInnen wieder von anderen durch ihr persönliches Verhalten unterscheiden können. Die Sozialdemokratie ist den Werten der Aufklärung und des Humanismus in einer zeitgemäßen und aktuellen Reflexion verbunden. Besonders deutlich kommt dies im Zusammenhang mit der Emanzipation der Menschen und der Entwicklung ihrer individuellen Freiheiten zum Tragen.

 

Demokratie:

Die Sozialdemokratie bekennt sich über die politische Demokratie hinaus zu den Grundsätzen der sozialen Demokratie in allen gesellschaftlichen Bereichen einschließlich des Wirtschaftslebens, wie sie bereits im Parteiprogramm 1978 zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus sind angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen die Gefahren, denen die Demokratie ausgesetzt ist, ständig zu analysieren und zu hinterfragen. Seien dies ökonomische Entwicklungen oder die Differenzierung der Gesellschaften oder Extremismus und Radikalität oder einfach nur die Gefahren, wie sie aus bestimmten Veränderungsprozessen, etwa in der Kommunikationstechnologie ergeben. Das unerschütterliche Bekenntnis zu den Grund- und Freiheitsrechten (ausgedrückt in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948) ist das Fundament, und gleichzeitig ist die Weiterentwicklung von demokratischen Gesichtspunkten zwingend erforderlich.

Wir bekennen uns auch zu neuen Formen der demokratischen Beteiligung und sind diesbezüglichen Überlegungen aufgeschlossen und bereit, diese kritisch zu prüfen.

Gleichzeitig bekennt sich die Sozialdemokratie zum Grundsatz der repräsentativen Demokratie. Dies schließt aber nicht aus, dass es in der einen oder anderen Frage für sinnvoll erachtet wird auf ein Instrumentarium der direkten Demokratie zurückzugreifen.

 

Wohnen:

Wohnen ist ein zentrales Bedürfnis der Menschen und es ist daher unsere Aufgabe Wohnraum und leistbares Wohnen auf möglichst hohem Niveau bei angemessener und sozial vertretbarer Eigenleistung zu gewährleisten. Die Befriedigung der Wohnbedürfnisse ist ein zentrales Element in der Akzeptanz des politischen Systems durch den Souverän.

 

Bildung und Wissenschaft:

Die Aufgabe der Sozialdemokratie ist es, den freien Zugang zu allen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen zu garantieren. Jedes Kind soll die bestmögliche Förderung in der Entwicklung seiner Fähigkeiten finden. Jede Form der sozialen Diskriminierung ist auszuschließen. Den Benachteiligten muss unsere ganz besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung gewidmet sein. Bildung ist der zentrale Motor zur Emanzipation der Menschen, und die Differenzierung des Bildungssystems nach sozialer Exklusion ist hintanzuhalten. Vielmehr ist es notwendig, Fähigkeiten und Begabungen (die auch immer unterschiedlich sein werden!) zu fördern.

 

Gesundheit:

Die Aufgabe der Sozialdemokratie ist es, den Zugang zu den bestmöglichen Gesundheitseinrichtungen und zur Spitzenmedizin für jeden Menschen unabhängig von seiner sozialen Stellung zu gewährleisten. Die Entwicklung im Gesundheitsbereich (von der Prävention bis zur Palliativmedizin) zeigt, dass man sich immer stärker am einzelnen Individuum und seinen Bedürfnissen zu orientieren hat. Diese Qualität des Gesundheitswesens muss auf eine möglichst breite Basis gestellt werden und es wird die Aufgabe der Gemeinschaft sein, sicherzustellen, dass alle Menschen (auch bei zumutbaren Eigenbeiträgen) diesen Zugang auch ermöglicht bekommen.

 

Gesellschaftlicher Grundsatz:

Wir leben in einer Zeit, in der die Leistungsorientierung im Produktionsprozess und innerhalb unserer Gesellschaft immer stärker wird. Wettbewerb und Konkurrenzdenken überfordern immer mehr Menschen. Die Sozialdemokratie bekennt sich zu einem solidarischen Leistungsprinzip und zum Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit. Das besondere Augenmerk muss gleichermaßen auf die Leistungserfordernisse der Gesellschaft, aber auch auf die Probleme der Benachteiligten in der Gesellschaft gerichtet sein. Der Grundsatz, wonach höhere Bildung, besseres Einkommen und eine höhere soziale Stellung vor allem bedeuten, dass man noch mehr für die Schwachen in der Gesellschaft tun muss, findet sicher seine Berechtigung. Es ist die Aufgabe der Starken in der Gesellschaft für die Schwachen einzutreten. Dieses Eintreten muss über die individuelle Unterstützung hinaus in eine strukturelle Richtung gehen. Die Sozialdemokratie bekennt sich zu den Prinzipien der Aufklärung, der Menschenrechte, der Grund- und Freiheitsrechte und der Gleichheit des Individuums vor dem Gesetz bzw. der vollen Partizipation jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin im politischen System.

 

Kunst und Kultur:

Die innere Qualität einer Gesellschaft wird oft daran gemessen, wie aufgeschlossen sie gegenüber Kunst und Kultur ist. Der Zugang zu Kunst und Kultur muss ebenfalls auf eine möglichst breite Basis gestellt werden und darf nicht nur wenigen Privilegierten vorbehalten werden. Daher ist die Verbindung von Kunst und Kultur mit allen anderen gesellschaftlichen Bereichen, vor allem mit dem Bildungsbereich, von großer, zentraler Bedeutung. Die Sozialdemokratie hat sich stets als große Kulturbewegung gesehen und in ihrer Geschichte viele positive Akzente für die Freiheit von Kunst und Kultur gesetzt. Der Begriff und das Prinzip der Freiheit von Kunst und Kultur sind untrennbar mit der Entwicklung der Menschenrechte und den Postulaten der Aufklärung verbunden und daher von jeher Teil der sozialdemokratischen Programmatik. Als besonderer Aspekt der Kultur sei in diesem Zusammenhang auch noch der Sport genannt. Vor allem der Breitensport hat nicht nur eine historisch große Verbundenheit mit der Sozialdemokratie, sondern ist ebenfalls ein wichtiges zentrales Element für die Emanzipation der Menschen.

 

Religionen:

Das Bekenntnis zu einer Kirche oder Religionsgemeinschaft steht in keinem Widerspruch zur Sozialdemokratie. Die SPÖ respektiert das religiöse Bekenntnis ihrer Mitglieder, sofern dieses auf der Basis der Verfassung und unserer Grundrechte steht. Die SPÖ respektiert auch die Tatsache, dass der überwiegende Teil ihrer Mitglieder der röm.-kath. Kirche, aber große Gruppen auch anderen Religionsgemeinschaften angehören. Die SPÖ bemüht sich um bestmögliche Beziehungen zu allen anerkannten Kirchen- und Religionsgemeinschaften.

Gleichzeitig ist es aber im modernen Staat wichtig, die Trennung von Kirche und Staat grundsätzlich anzuerkennen und die Schnittstellen genau zu definieren. Dieser Grundsatz ist mit dem Respekt für das gesellschaftliche Engagement der Kirchen- und Religionsgemeinschaften vor allem im Hinblick auf eine gerechte Gesellschaftsordnung und für einen guten sozialen Zusammenhalt von großer Bedeutung. Die Sozialdemokratie respektiert auch viele Traditionen religiösen Ursprungs.

 

Antifaschismus:

Die österreichische Sozialdemokratie steht, ebenso wie die Zweite Republik, auf einem unerschütterlichen antifaschistischen Fundament. Die Zweite Republik ist die Antithese auf die Geschichte davor und nach den dramatischen Entwicklungen gezeichnet durch zwei Faschismen und dem mörderischen Naziregime ist der Antifaschismus das zentrale konstitutive Element der Sozialdemokratie. Die Abgrenzung von allen autoritären, rassistischen und verhetzenden Entwicklungen unserer Gesellschaft ist daher die zentrale und tagtäglich zu vollziehende Grundaufgabe der Sozialdemokratie. Dies setzt auch eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik bzw. die massive Einbringung des Bildungswesens voraus. Parallel dazu ist es notwendig, die gesellschaftlichen Entwicklungen im Hinblick auf Radikalisierung und Extremismen genau zu beobachten und die rechtsstaatlichen Instrumente dafür entsprechend zu adaptieren. Zum Bekenntnis für die Demokratie gehören in Konsequenz auch das Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat und die Entschlossenheit diesen gegebenenfalls mit allen durch die Verfassung gegebenen Mitteln zu schützen und zu verteidigen. Die Frage des Antifaschismus ist also eine auch innerparteilich interdisziplinär zu betrachtende Frage, weil sie nahezu alle Politikbereiche erfasst und vor allem in den großen zentralen Bereichen, wie Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kultur ihren Niederschlag finden muss.

 

Wirtschaft:

Die Sozialdemokratie bekennt sich zum Primat der Politik auch im Hinblick auf ökonomische Prozesse. Realistischer Weise wird dieses Primat nur durch bestmögliche internationale Vernetzung (z.B. auf europäischer Ebene und darüber hinaus) zu verwirklichen sein. Die Politik muss die Grundverantwortung auch im Hinblick auf die Wirtschaft übernehmen. Die Sozialdemokratie bekennt sich zum Prinzip der Sozialpartnerschaft und dazu, die Prinzipien der sozialen Demokratie auch im Wirtschaftsleben einzubringen. Wirtschaft setzt oftmals den Leistungsgedanken voraus. Dem steht die Sozialdemokratie unter Beachtung sozialer Gesichtspunkte auf der Basis der Sozialpartnerschaft aufgeschlossen gegenüber. Eine enge Verbindung zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung ist ebenso erforderlich, wie in den Bereichen Forschung und Entwicklung sowie Technologie und Innovation.

 

Internationalität:

Die Sozialdemokratie hat sich seit ihrer Gründung stets als internationale Bewegung verstanden. Daher spielt das Prinzip der Internationalität eine ganz besonders zentrale Rolle im Selbstverständnis einer modernen Sozialdemokratie. Doch diese umfasst nicht nur die europäische Ebene, sondern darüber hinaus die weltumspannende Vermittlung sozialdemokratischer Inhalte und Ideen. Daher wird das Engagement im Rahmen der Internationale sehr positiv gesehen und eine politische Reaktivierung der Internationale als wichtiges Ziel festgehalten. Sozialdemokratie braucht auch ein starkes internationales Gesicht, vor allem im Hinblick auf die Lösung zentraler internationaler Konflikte und die Bereitschaft zu Beiträgen für ein gerechtes, soziales und friedvolles Miteinander.

 

Politikschwerpunkte:

Im Detailbereich wird es notwendig sein, das Hauptaugenmerk neben den klassischen Themen der Frauenpolitik, der Kinder- und Jugendpolitik sowie der SeniorInnenpolitik auf einige inhaltliche Felder zu konzentrieren. Im Hinblick auf die Entwicklung unserer Gesellschaften und der Stärken, die auch von Österreich ausgehen können, werden diese vor allem folgenden Themen sein:

  1. Wissenschaft und Bildung
  2. Forschung, Entwicklung und Technologie
  3. Kunst und Kultur
  4. Sport
  5. Gesundheit
  6. Wohnen

Als übergeordnetes Schwerpunktthema und als Grundsatz muss es immer heißen:

 

Arbeit schaffen, Beschäftigung sichern und die Armut bekämpfen!

Verbunden mit dem Bekenntnis zur Beseitigung der Klassen sind dies die zentralen Aufgaben und Herausforderungen der Sozialdemokratie in ihrer über 125jährigen Geschichte in Österreich und International.